Neue Arbeitswelt, alte Fragen: IT-Freelancer-Flexibilität trifft auf Finanzamt

Steuerrechtlich werden die verschwimmenden Grenzen zwischen echter Selbstständigkeit und möglicher Scheinselbstständigkeit zunehmend zu einem Problem.
Zudem wachsen die Anforderungen an Dokumentation und steuerliche Trennschärfe stetig. Dabei geraten gerade spezialisierte Solo-Selbstständige schnell in Erklärungsnot, wenn das Finanzamt klassische Raster auf neue, digitale Arbeitsformen anwendet.Besonders kompliziert ist es für IT-Freelancer, die remote, langfristig und häufig exklusiv für einen Kunden arbeiten.
Dabei nimmt die Bedeutung von IT-Freelancern in Deutschland seit Jahren stetig zu. Laut dem Freelancer Kompass 2025 sind 13 Prozent der Selbstständigen in der IT-Infrastruktur tätig. Wobei IT-Freelancer nicht per se im Fokus der Finanzbehörden stehen. Dennoch birgt ihr Geschäftsmodell typische Risikofaktoren, gerade im B2B-Kontext, wo längere Projektphasen üblich sind. Sind Verträge vage formuliert oder es besteht eine exklusive Bindung an einen Auftraggeber, verstärkt sich der Verdacht einer Scheinselbstständigkeit. Internationale Projekte oder das Reverse-Charge-Verfahren machen die Steuererfassung und -prüfung zunehmend komplex. Viele IT-Freelancer arbeiten jedoch grenzüberschreitend – bei der Umsatzsteuer oder der Versteuerung ausländischer Einkünfte wird es da schnell unübersichtlich.
Steuerprüfung als reale Hürde
Selbst, wenn die Buchführung perfekt ist, die Steuerklärung pünktlich und fehlerfrei – ja selbst dann kann es zu einer Steuerprüfung kommen. Mal ist es eine Stichprobe, mal gibt es Auffälligkeiten. Typische Auslöser sind Abweichungen in der Umsatzsteuervoranmeldung, unvollständige Angaben in der Einnahmenüberschussrechnung oder widersprüchlich formulierte Verträge. In manchen Fällen leitet die Deutsche Rentenversicherung ein Statusfeststellungsverfahren ein.
Wird die Prüfungsanordnung zugestellt, müssen IT-Freelancer umgehend alle relevanten Unterlagen bereitstellen – inklusive Verträgen, Rechnungen, Leistungsnachweisen, Stundenzetteln und Kontoauszügen. Spätestens dann rächt es sich, wenn die Unterlagen für die Steuer in einem Zettelkasten und nicht in einem digitalen Tool gesammelt sind. Denn die Konsequenzen können erheblich sein.
Schon formale Fehler führen zu Nachzahlungen – etwa bei der Vorsteuer oder der Einkommens-, Umsatz- oder Gewerbesteuer. In Einzelfällen drohen sogar Bußgelder oder Strafverfahren, wobei dies in der Regel nur bei vorsätzlicher Steuerhinterziehung der Fall ist. Solo-Selbstständige können kleinere Fehler meist problemlos korrigieren – und selbst wenn eine Nachzahlung nötig wird, kann diese häufig in Raten geleistet werden. Die gute Nachricht: Viele Prüfungen verlaufen glimpflich – insbesondere, wenn man gut vorbereitet ist.
Tipps gegen unangenehme Überraschungen vom Finanzamt
Die Vorbereitung liegt im täglichen Umgang mit den eigenen Finanzen und beginnt lange vor dem ersten Kontakt mit dem Finanzamt.
Strukturierte Buchhaltung
Der wichtigste Schutz gegen unangenehme Überraschungen vom Finanzamt ist eine saubere, nachvollziehbare Organisation der eigenen Geschäftstätigkeit – von Anfang an. Dazu gehört vor allem eine strukturierte Buchhaltung, idealerweise digital unterstützt. Einnahmen und Ausgaben sollten zeitnah erfasst, Belege digital archiviert und kategorisiert werden.
Korrekte Vertragsstruktur
Auch bei der Vertragsgestaltung mit Auftraggebern ist Sorgfalt gefragt. Jeder Vertrag sollte eine klare Leistungsbeschreibung, Projektlaufzeit und Abrechnungsform enthalten.
Betriebsausgaben trennen’Ebenso wichtig ist die strikte Trennung von privaten und betrieblichen Ausgaben. Zwar sollten Ausgaben wie Laptop, Mobilfunkverträge oder das Arbeitszimmer in der Mietwohnung gerade für IT-Freelancer nicht zum Streitpunkt werden, da sie vom Finanzamt als Betriebsausgaben nachvollziehbar sind. Doch helfen eine professionelle Kontoführung und getrennte Bankverbindungen, um steuerlich relevante Vorgänge sauber vorzeigen zu können.
Kommt es zur Prüfung, gilt: Ruhe bewahren und vorbereitet sein. Selbstständige sind verpflichtet, dem Finanzamt Einsicht in steuerlich relevante Unterlagen zu gewähren, doch sucht das Finanzamt nicht gezielt nach jedem kleinen Fehler. Meist geht es um auffällige Unregelmäßigkeiten oder große Abweichungen. Deshalb sollten alle Unterlagen griffbereit und gut dokumentiert sein – darunter Verträge, Rechnungen, Leistungsnachweise, Stundenzettel, Kontobelege und Schriftverkehr mit Auftraggebern.
Software als Alltagsheld
Erstaunlicherweise setzen ausgerechnet IT-Freelancer noch auf eine manuelle Zettelwirtschaft. Was bleibt: Der Stress und die Unsicherheit, etwas übersehen zu haben. Längst gibt es intelligente Softwarelösungen, wie Accountable, Qonto, oder andere Anbieter, mit denen sich Buchhaltung, Steuererklärungen und Compliance effizient und rechtssicher abbilden lassen. Zudem bieten viele Lösungen Schnittstellen zum Steuerberater, was den Datenaustausch erleichtert und doppelte Arbeit vermeidet.
Bei IT-Freelancern bleibt häufig eine steuerliche Unsicherheit. Besonders Scheinselbstständigkeit und das Statusfeststellungsverfahren beschäftigt die Selbstständige der Branche. Digitale Tools und eine durchdachte Organisation schaffen eine stabile Basis. Erste Berufsverbände und Plattformen wie VGSD, Bundesverband IT-Mittelstand oder Freelancer-Plattformen fordern mehr Rechtssicherheit für projektbasierte Wissensarbeit. Bis sich die Gesetzeslage modernisiert, liegt es an den Selbstständigen selbst, Klarheit zu schaffen – durch Transparenz, Struktur und den klugen Einsatz digitaler Unterstützung.
Tino Keller
ist CMO & Managing Director bei Accountable.